Hochwasserkatastrophe

Bericht über die Hochwasserkatastrophe im Südtiroler Eisacktal

Die Nacht vom 17.08.1891 auf den 18.08.1891 zählt für Kollmann, der Fraktion der Südtiroler Gemeinde Barbian im Eisacktal, zu den schwärzesten Nächten in der Geschichte des Ortes. In dieser Nacht stürzten die Wassermassen des Ganderbaches, nachdem es auf dem Rittner Horn einen Wolkenbruch gegeben hatte, auf das Dorf und brachte großes Unglück und Schaden.

Beigefügte Mitteilung hatte der Deutsche und Österreichische Alpenverein am 31.08.1891 im Zusammenhang mit der Hochwasserkatastrophe veröffentlicht (Mitteilung Nr. 16 vom 31.08.1891, Wien):

Die Hochwasser-Katastrophe bei Kollmann im Eisackthale

Wenn man auf der Brennerbahn von der Station Atzwang nach Waidbruck fährt, kommt links auf einer mässigen Anhöhe zwischen grünen Matten mit Fruchtbäumen und Rebgeländen die freundlich gelegene Fraction Kollmann mit einem imposanten, schlossartigen Gebäude (früher Zollhaus) in Sicht, welche durch eine Brücke über den Gonderbach von den linkseitigen Häusern des Ortes getrennt ist. Der Wildbach hat sein Quellengebiet auf den ausgedehnten Höhen des Rittenhorns und den weitverzweigten Ausläufern der Villandersalpe und wird aus dem Horn- und Kaserbache gebildet, welche nach ihrem Zusammenflusse im weiteren Laufe durch ein bewaldetes, brüchiges Felsenthal den über eine hohe Felswand abstürzenden schönen Saubachwasserfall speisen, der vom Thal aus sichtbar ist und von dort in einem völlig unzugänglichen, tief gegrabenen Bette mit starkem Gefälle dem Eisack zufliesst, an dessen unterstem Ende die Fraction Kollmann liegt.

In der Nach vom 17. auf den 18. August hat das Wildwasser dieses sonst zahmen Baches mit einem Schlage die Ortschaft verwüstet, arbeitsame, glückliche, zufriedene Menschen um ihre Habe gebracht und mit den der Gewalt des Wassers zum Opfer gefallenen 14 Häusern 39 Menschenleben vernichtet, welche, sämmtlich im Schlafe von den Fluthen fortgerissen, im Schutte begraben liegen oder als Leichen vom Wasser ausgeworfen wurden. Der Anblick der Unglücksstätte ist überwältigend und spottet jeder Beschreibung.

Während es im Orte Kollmann kaum regnete, entlud sich ungeahnt im Quellengebiete des Wildbaches ein furchtbares Hochgewitter mit lange andauerndem, wolkenbruchartigen Regen. Um 10 Uhr nachts kam plötzlich das Hochwasser, welches jedoch nicht besorgnisserregend war, da nach jedem Hochgewitter ähnliche Wassermengen tosend und wildschäumend zum Abflusse gelangen, der Bach ein tiefes Rinnsal besitzt und die an den beiderseitigen Ufern hochgelegenen Häuser durch feste, solide Mauern und Uferschutzbauten vollkommen gesichert erschienen. Die Ortsleute beruhigten sich und begaben sich, keine Gefahr ahnend, zur Ruhe. Plötzlich um 11 Uhr nachts kam der Bach, wahrscheinlich infolge der Ansammlung und Stauung von entwurzelten Bäumen, Murbrüchen und Felsabrutschungen in seinem obersten Laufe gehemmt, mit furchtbarer Gewalt, in wenig Minuten Alles, was in seinem Bereiche lag, fortreissend und zerstörend.

Das wilde Getöse des Wildwassers übertönte und verstummte die verzweifelten Hilferufe der nach Rettung Suchenden und Sterbenden, die Angst lähmte jede Thatkraft und bannte vielleicht manchen dieser Unglücklichen an die Scholle, die wenig Minuten später abstürzte, dazu finstere Nacht, Gefahr auf allen Seiten, kein Hoffnungsschimmer und nirgends Rettung. Doch die volle Größe des Unglücks sollten diese Armen erst beim Grauen des Tages sehen.

Wer die Katastrophe überlebte, dachte, dass seine Angehörigen in der allgemeinen Verwirrung, Rettung suchend, ausser Hause in das Freie flüchteten; ein schwacher Hoffnungsstrahl belebte die Gemüther, doch nur zu bald wurde die aufkeimende Ahnung zur Wahrheit: Eltern fanden die entstellten Leichname ihrer Kinder oder diese jene unter den Trümmern im Schlamme oder unter dem massenhaft abgelagerten Schuttmaterial. 39 Personen, Erwachsene und Kinder, wurden in wenigen Minuten ein Raub der Alles verheerenden Fluthen.

Herzzerreissende Scenen spielten sich an der Unglücksstätte, welche einem Schlachtfelde nach dem Sturme ähnlich sieht, ab. In stiller Resignation und mit stummer Verzweiflung beklagt ein arbeitsames Elternpaar den Verlust der sämmtlichen fünf Kinder. Ein anderes Elternpaar, welches von einer Kirchfahrt am Tage nach der Katastrophe nach Hause kam, fand keine Spur mehr von dem einstigen Heim sammt den vier Söhnen, wovon zwei erwachsen und deren Stütze bildeten, - Alles von den Fluthen verschlungen.

Die Unglücksstätte und der Anblick der unverschuldet schwer Betroffenen ist ein Bild des Jammers, welcher jeder Beschreibung trotzt. Unmittelbar unter dem zerstörten Orte hat sich ein riesiger, mit Steinblöcken und Schutt  gefüllter Staurücken in einer Breite von 400 – 500 Meter und einer Höhe von 15 – 16 Meter gebildet, welcher den Eisack ganz an die Berglehne drängte, einen Stausee in der ganzen Thalbreite bildete und die vollständige Demolirung der Bahnstrecke und Kastelruther Straße auf einer Länge von circa ein Kilometer zur Folge hatte; doch dies erscheint fast nebensächlich gegenüber der Katastrophe von Kollmann.

Der Verlust der Häuser – an den brüchigen steilen Lehnen werden durch spärliche Mauerreste, hängende Bretter und lose Balken die Seiten der einstigen Wohnstätte bezeichnet – ist traurig, doch fürchterlich und viel schrecklicher ist für die Ueberlebenden der Gedanke, dass von dem entfesselten tückischen Elemente so viele Menschenleben geknickt und verschlungen wurden.

Eine Sammlung in Vereinskreisen für die Unglücklichen, welche ein Schicksalsschlag in eine verzweifelte Nothlage versetzte, würde Manchen theilweise wieder aufrichten und mit Vertrauen an den Beginn eines neuen Berufes und die Schaffung eines neuen Heims gehen lassen.

Die S. Bozen des D. u. Oe. Alpenvereins ist gerne bereit, Spenden entgegenzunehmen und das Ergebnis einer Sammlung rasch und zweckmässig zu vertheilen.

Bozen, A. Wachtler

Bildnachweis: © ANDREY POL

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